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Es wird oft vom „inneren Kind“ gesprochen, mit dem wir in Verbindung treten
sollten. Wahrscheinlich haben wir nicht ein, sondern viele innere Kinder. Als in
Hermann Hesses „Steppenwolf“ die Hauptfigur Harry Haller in den Spiegel der
Wahrheit schaut, sieht er hunderte, tausende Versionen von sich selbst, ganz
unterschiedlichen Alters, die dort mit ganz unterschiedlichen emotionalen Zuständen
in alle möglichen Richtungen unterwegs sind.
Es heißt: Wenn man wieder einen guten Kontakt zum inneren Kind bekommt, dann
wächst innerlich etwas zusammen, was lange getrennt war. Und manchmal klingt es
so, als würde das innere Kind nur darauf warten, endlich von uns gesehen und
abgeholt zu werden.
Das Innere Familien-System (IFS) geht sogar davon aus, dass manche inneren
Anteile bzw. inneren Kinder in einem frühen Entwicklungsstadium stehen geblieben
sind und gar nicht sehen, dass da auch ein selbstwirksames und kompetentes
Erwachsenen-Ich heran gereift ist. Man macht also dem isolierten inneren Kind das
Erwachsenen-Ich sichtbar. Dann kann das innere Kind diesem kompetenten und
erfahrenen Erwachsenen-Ich die ganzen Altlasten, Schmerzen und Traumata
übergeben, die es bisher selbst getragen hat, und wieder glücklich sein, während
das Erwachsenen-Ich sich um alles kümmert, wie ein guter Elternteil.
Das sind sehr interessante systemische Ansätze. Was aber, wenn das innere Kind
das Erwachsenen-Ich durchaus sieht und seit Langem beobachtet und gerade
deswegen gar nicht heran lassen will? Was, wenn es sehr gute Gründe dafür hat,
Abstand zu halten? Und was, wenn es aus seiner Entfernung sogar auf sehr
unartige Weise immer wieder in unser Leben hinein wirkt und wir merken, dass wir in
bestimmten Lebensbereichen blockiert sind, als müsste vorher noch etwas erledigt
werden, bevor es uns die innere Erlaubnis zum Weiterkommen erteilt?
Nehmen wir einmal an, dieses innere Kind wüsste etwas sehr Wichtiges.
Vielleicht trägt es die Erinnerung daran, wer wir wirklich sind, oder zu was wir
“bestimmt” sind. Vielleicht kennt es sozusagen den Sinn unseres Lebens. Vielleicht
hält es diese innere Wahrheit wie eine Kerze, die nicht ausgehen darf, und beugt
sich schützend darüber.
Und dann beobachtet es uns und sieht, was wir alles können. Und es sieht, wie viel
Energie wir dafür aufwenden, auf keinen Fall den Sinn unseres Daseins zu erfüllen.
Es sieht, wie wir uns ständig anpassen, ständig Regeln befolgen, ständig
Erwartungen erfüllen. Es sieht, wie wir immer irgendwo Erwartungen vermuten,
selbst dort, wo keine sind, und dann diesen „erwarteten Erwartungen“ gerecht
werden wollen. Es sieht, wie wir irgendwie ruhiger und sogar zufriedener werden,
wenn wir mal wieder ein Regelwerk finden, an das wir uns halten können, weil sich
das so schön „strukturierend“ anfühlt, sogar “identitätsstiftend” wirkt und uns
gesellschaftlich akzeptierte Kriterien liefert, nach denen wir bemessen können, wie
“erfolgreich” unser Leben ist. Es sieht, wie viel wir darauf geben, was andere über
uns denken (könnten). Es sieht, wie wir uns immer wieder Zugehörigkeit durch
Anpassung einkaufen. Und es sieht natürlich auch, wie wir Anpassung von den
anderen fordern. Das geht nämlich in beide Richtungen. Wir gehören zu den
Mitwirkenden.
Und wenn wir doch mal gegen die Regeln und Erwartungen verstoßen, dann muss
uns nicht einmal jemand dafür bestrafen. Denn sogar das übernehmen wir oft selbst:
durch Schuld- und Schamgefühle. Scham und Schuld wirken wie Gruppenklebstoff.
Sie sind ganz schnell da, wenn wir gegen die Gruppenregeln verstoßen könnten.
Und auch durch Angst. Denn tief in unserem limbischen Gehirn erscheint dann die
Botschaft: „Wenn dich die Gruppe ausstößt, dann bist du allein und wirst noch heute
vom Säbelzahntiger gefressen.“ Das fühlt sich schrecklich an. Also bleiben wir in
den Zugehörigkeiten und geben dafür etwas auf.
Ja, zwar können wir tolle Dinge tun, zum Beispiel Auto fahren, Autos bauen, Häuser
bauen, Berufe ausüben, Geld verdienen, konsumieren, fliegen, mit komplexen
Konzepten jonglieren, Unternehmen und Familien gründen, wir können so vieles!
Wir können uns ganze Wirklichkeiten zurecht legen, uns Selbstbilder und Weltbilder
basteln und dabei auch noch Kuchen backen. Wir können sogar über den Sinn des
Lebens sinnieren und denken, dass er sich in Worten ausdrücken lässt.
Doch die eine Fähigkeit, die dieses innere Kind aufmerksam in uns sucht, die
vermisst es weiterhin - nämlich die Fähigkeit, zu dem zurück zu finden, wer wir
wirklich sind. Und nur wenn das Kind das Ich auf diesen Weg zurück kehren sieht,
wird es ihm die Kerze gern zeigen. Bis dahin wird es sie weiter verstecken und
schützen. Es schützt sie vielleicht vor niemand anderem als uns selbst. Und damit
hat es wahrscheinlich sogar Recht.
Und dann ist da noch unser Umgang mit unserem “Schatten”: Schauen wir unseren
dunklen Seiten, unseren negativen Gefühlen und Gedanken offen in die Augen, oder
verleugnen wir sie und schieben lieber alles Schlechte auf die anderen? Wenn wir in
der Verleugung und nicht einmal mit uns selbst ehrlich sind, warum sollte unser
inneres Kind uns dann trauen? Was, wenn wir, unser Ego, nicht das Licht sind,
sondern der abdunkelnde Lampenschirm?
Wir müssen uns das Vertrauen des inneren Kindes erst verdienen. Vielleicht will es
gar nicht gerettet werden. Vielleicht will es uns retten. Und vielleicht sind wir noch
nicht bereit?
Fragen, die Sie sich vielleicht stellen möchten:
•
Was stelle ich mir unter dem inneren Kind vor? Ist es vielleicht eine falsche
Vorstellung? Habe ich mir da vielleicht etwas aus den Büchern und Webseiten
zusammengelesen, das gar nicht “meins” ist?
•
Welche Erwartungen habe ich an die Begegnung mit dem inneren Kind? Was,
wenn ich alle Erwartungen aufgebe weil sie mir vielleicht im Weg stehen?
•
Kann ich schon erkennen, wie mein inneres Kind in mein Leben hinein wirkt?
•
Kann ich Widerstände zwischen meinem inneren Kind und mir wahrnehmen, von
wem von uns beiden sie kommen, und was sie bewirken?
Alexander Hohmann - Blog
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Das innere Kind ist anders, als man denkt