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Inhalt des 2. Teils:
(Erster Teil: Klicken Sie hier, um zum Teil 1 zu kommen)
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Wie wirken Erholung und Schlaf auf das Erinnerungsvermögen von HSP?
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Mit welchen Faktoren gestalten sich Hochsensible ein besseres Leben? Eine
Bestandserhebung für mehr Wohlbefinden
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Einfluss von Einsamkeit auf die Verknüpfung zwischen Umweltsensitivität und
Gesundheit
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Schmerz und Lebensqualität: Hochsensibilität und zentrale Sensitivierung (HACS) bei
chronischen Schmerzpatienten
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Die Rolle der Umweltsensitivität in posttraumatischem Wachstum und im Umgang mit
Stress
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Schlussrunde: Hochsensibilität und psychische Gesundheit : Fragen und Antworten zu
positiven und negativen Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit, Vorbeugung
bei SPS, Besonderheiten bei der Psychotherapie, Verbindung zu anderen Formen der
Neurodiversität, zu kultureller Akzeptanz, Unterschieden zwischen Ländern, usw.
Wie wirken Erholung und Schlaf auf das
Erinnerungsvermögen von HSP?
Dr. Robert Marhenke von der Universität Innsbruck untersucht den Einfluss von Erholung
im Wach- und Schlafzustand auf das Gedächtnis.
Im Experiment wurden die Teilnehmenden in zwei Gruppen aufgeteilt. Beide sollten
zunächst zwei Listen von Wörtern auswendig lernen.
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Eine Gruppe durfte daraufhin 8 Minuten lang mit geschlossenen Augen ruhen.
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Die andere Gruppe sollte in der gleichen Zeit Aufgaben erfüllten, die eine visuelle
Aufmerksamkeit erforderten.
Eine Woche später wurden sie gefragt, an welche der Wörter sie sich erinnern konnten.
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Unter Normalsensiblen gab es keine Unterschiede zwischen den Gruppen.
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Unter den Hochsensiblen konnte sich die Gruppe mit 8 Minuten Augenpause an
deutlich mehr Wörter erinnern, als der Durchschnitt, die andere Gruppe hingegen
sogar an deutlich weniger als der Durchschnitt.
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Dieser Unterschied bei den Hochsensiblen erschien aber nicht gleich nach dem
Experiment, sondern erst bei einer Befragung nach mehreren Tagen!
Interessant war auch, dass die Hochsensiblen während der Ruhepause intensivere
Verbindungen in den Hirnströmen innerhalb des Ruhezustandsnetzwerks („Default
Mode Network“) zwischen Hippocampus und Praecuneus aufwiesen. Das könnte auf
einen Mechanismus der „Systemkonsolidierung“ hinweisen, bei dem Erinnerungen, die
zunächst typischerweise im Hippocampus liegen, für eine Langzeitspeicherung in den
Neocortex verlagert werden.
Solche Mechanismen können im ruhigen Wachzustand auftreten, sind aber vor allem für
die paradoxe Schlafphase (REM-Schlaf) typisch. Sie können ein erhöhtes
Langzeitgedächtnis bedeuten – oder aber eine tiefere Erfahrungsverarbeitung.
Ein weiteres Experiment mit Instagram-Nutzern verglich wieder die Wirkung von 8
Minuten Augenpause mit 8 Minuten Instagram-Surfen. Hier zeigten die hochsensiblen
Instagram-Nutzer die schlechteste Erinnerungsleistung von allen, wenn sie nach 16 bzw.
35 Minuten nach den Wörtern gefragt wurden.
Weitere Studien scheinen zu zeigen, dass dieses höhere Erinnerungsvermögen bei
Hochsensiblen nur wirkt, wenn die Ruhepause unmittelbar nach dem Lernen erfolgt.
Bei später eingelegten Pausen oder durch nächtlichen Schlaf sind hingegen keine
Unterschiede festzustellen.
Im Ergebnis zeigt sich, dass Hochsensible ein besseres Erinnerungsvermögen
haben, wenn sie sofort nach einer neuen Erfahrung eine Ruhepause zur
Verarbeitung einlegen. Wenn sie damit warten, geht dieser Vorteil verloren.
Mit welchen Faktoren gestalten sich Hochsensible ein
besseres Leben? Eine Bestandserhebung für mehr
Wohlbefinden
Dr. Becky Black von der Universität Melbourne und Dr. Rohan Borschmann von der
Universität Oxford führen eine laufende Untersuchung der Fachliteratur von 1990 bis
heute durch. Sie suchen nach allen möglichen Faktoren, die das Wohlbefinden von
Menschen mit SPS verbessern.
Diese Faktoren und Strategien wirken sich wahrscheinlich positiv auf alle Menschen aus.
Aber diese Wirkung scheint bei Hochsensiblen überdurchschnittlich stark zu sein.
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Umfeldfaktoren: Aufmerksame und unterstützende Eltern, positive Übergänge in der
Schullaufbahn, unterstützendes Arbeitsumfeld.
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Verbindung zur Natur: Ein Eintauchen in die Natur verringert insbesondere das
Grübeln und erhöht die Stimmung. Auch kurze Aufenthalte in der Natur wirken sich
positiv aus. Wälder wirken deutlicher positiv, als Felder.
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Psychologische Strategien: Achtsamkeit, Meditation, Selbstakzeptanz, positives
Denken, emotionale Selbstregulierung – insbesondere Situationen bewusst mit sich
selbst besprechen, um sie aus einer anderen Perspektive zu sehen und sie rationaler
zu bewerten und relativieren („cognitive reappraisal“).
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Gesellschaftliche Stützen und Beziehungen: Ein Austausch über die eigenen
Erfahrungen mit anderen HSP bringt Validierung; das Entwickeln von
zwischenmenschlichen Kompetenzen ist insbesondere wichtig zur
Depressionsprävention bei jungen Menschen; ein gutes Gleichgewicht zwischen
Geselligkeit und Zeiten des Alleinseins; wahrgenommene Unterstützung aus Umfeld
und Familie.
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Körperliche Tätigkeiten: Yoga und Meditation, regelmäßige Bewegung und Sport,
gesunde Ernährung, Routinen und Strukturen.
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Bewältigungsstrategien: Stilles Umfeld, geräuschunterdrückende Geräte, Emotionen
ausdrücken, nach Unterstützung und Hilfe suchen, Problemlösung und Planung,
Vermeidung von Überreizungen.
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Persönlichkeitsentwicklung: Selbstkenntnis, insbesondere Wissen über
Hochsensibilität, Bildung der emotionalen Intelligenz, Sinn und Lebenszweck finden.
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Professionelle Hilfe: qualitative Psychotherapie mit Therapeuten, die mit dem Thema
Hochsensibilität vertraut sind, maßgeschneiderte Interventionen (z.B. sprechen
hochsensible Kinder besser auf Einzel- als auf Gruppentherapie an), Programme zur
Förderung von Resilienz.
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Arbeit und Karriere: Eine Karriere finden, die zur Hochsensibilität passt, in einem
Umfeld, das Autonomie erlaubt und unterstützende Führungsstile übt.
Im Ergebnis sieht man, wie wichtig einerseits das Umfeld, andererseits auch die
persönlichen Strategien sind. Künftige Forschungen könnten die Wirkung einzelner
psychologischer oder therapeutischer Interventionen untersuchen.
Einfluss von Einsamkeit auf die Verknüpfung zwischen
Hochsensibilität und Gesundheit
Dr. Grant Benham von der Universität Texas im Rio-Grande-Tal untersucht, wie sich
Herausforderungen im zwischenmenschlichen und geselligen Bereich auf die Gesundheit
von Hochsensiblen auswirkt.
Beispiele solcher Herausforderungen sind:
•
Defizite in den zwischenmenschlichen und kommunikativen Fähigkeiten,
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Sozialphobie,
•
oberflächliche Beziehungen,
•
Abwesenheit von positiven Beziehungen.
Nicht damit gemeint sind Introversion oder Schüchternheit.
Dabei muss man bedenken, dass eine geringe Geselligkeit auch eine gewählte
Bewältigungsstrategie gegen Überreizung sein kann!
Über den Zusammenhang zwischen SPS und Gesundheit hat Dr. Benham schon 2006
seine erste Studie veröffentlicht – damals ging es um körperliche Symptome. Seitdem gab
es verschiedene Studien über den Zusammenhang zwischen Hochsensibilität und
körperlichen bzw. psychischen Gesundheitsproblemen.
Es ist bei Hochsensiblen ein stärkerer Hang zu Zeiträumen des freiwilligen Alleinseins
bekannt. Alleinsein („solitude“) ist dabei von Einsamkeit, also unfreiwilligem und als
belastend empfundenem Alleinsein („loneliness“) zu unterscheiden.
Eine von Dr. Benham untersuchte Frage war diese: Sind Hochsensible auch öfter
einsam? Oder reduziert das gewählte Alleinsein sogar das Gefühl der Einsamkeit?
Das Ergebnis zeigte, dass HSP tatsächlich öfter Gefühle der Einsamkeit haben, als
Normalsensible, und dies durch den Hang zum bewussten Alleinsein nicht positiv
beeinflusst ist.
Die Studie befragte allerdings vor allem junge Erwachsene mit lateinamerikanischem
Hintergrund im Süden von Texas, basierte auf Selbstauskunft und fragte nicht nach
eventuellen Schwierigkeiten in der Kindheit.
Weitere Forschungsergebnisse zeigen eine Paradoxie des Alleinseins: Der Hang zum
Alleinsein bewirkt keine Besserung im Wohlbefinden, wenn Menschen nicht
psychisch gesund sind. Anders gesagt: Wenn überhaupt, wird Alleinsein nur von
Gesunden als entlastend empfunden.
Schmerz und Lebensqualität: Hochsensibilität und zentrale
Sensitivierung bei chronischen Schmerzpatienten
Dr. Veronique de Gucht von der Universität in Leiden (Niederlande) studiert derzeit die
Zusammenhänge zwischen zentraler Sensitivierung (HACS - „Human Assumed Central
Sensitisation“) und Lebensqualität bei Hochsensiblen.
Worum geht es bei zentraler Sensitivierung? Manche chronischen Schmerzpatienten
entwickeln auf Dauer ein solch empfindliches Schmerzsystem, dass selbst nicht-
schmerzhafte Reize zu übermäßigem Schmerz führen. Es kann auch geschehen, dass
allein die Möglichkeit von künftigem Schmerz zu übermäßigen Schmerzerwartungen
(„pain catastrophising“), Grübeleien und Gefühlen der Hilflosigkeit führen.
Die Schwierigkeit in der Forschung besteht darin, dass das Schmerzempfinden subjektiv
wahrgenommen wird und nicht objektiv messbar ist. Dafür wurden verschiedene
spezialisierte Fragebögen entwickelt:
•
Central Sensitization Inventory (CSI),
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Brief Pain Inventory-Short Form (BPI-SF),
•
für die Lebensqualität die Short Form Health Survey-12 (SF-12v2),
•
und für die Hochsensibilität hat Dr. de Gucht selbst einen Fragebogen entwickelt, den
Sensory Processing Sensitivity Questionnaire (SPSQ – www.sps-q.com).
Objektive Schmerzmessungen bleiben schwierig. Aber man versucht, etwas Objektivität
hineinzubringen, z.B. mit dem Kaltwassertest. (Dabei werden Gliedmaßen in kaltes
Wasser getaucht und die physiologischen Auswirkungen auf Herz und Kreislauf
gemessen.)
Eine Schlüsselfrage in der aktuellen Studie war: Wie erleben und bewerten die
Menschen grundsätzlich ihre Hochsensibilität – als positiv oder als negativ?
•
Bei Menschen, die ihre Hochsensibilität eher negativ erleben, schlugen die zentrale
Sensitivierung und insbesondere die Schmerzerwartung stärker durch, als bei
Normalsensiblen.
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Eine positive Hochsensibilität hingegen konnte die Schmerzerwartungen gegenüber
Normalsensiblen sogar verringern! Das führte zu einer geringeren zentralen
Sensitivierung.
Es zeigt sich, dass hier eine Verkettung, die von der Schmerzerwartung zur
Lebensqualität führt, eine zentrale Rolle spielt:
1.
Eine positiv erlebte und bejahte Hochsensibilität führt zu geringerer
Schmerzerwartung.
2.
Eine geringere Schmerzerwartung verringert wiederum die zentrale Sensitivierung.
3.
Diese geringere Sensitivierung führt zu mehr Lebensqualität.
Dadurch ergeben sich Ansätze für Interventionen. Insbesondere sollten Therapien beide
Bereiche behandeln:
•
den kognitiven Bereich (Schmerzerwartung)
•
und den physiologischen Bereich (Sensitivierung).
Es fällt noch schwer, allgemeingültige Empfehlungen für Schmerzpatienten zu geben, um
ihre Schmerzerwartungen zu senken und damit die Lebensqualität zu beeinflussen. In den
Schmerzkliniken werden aber zunehmend Achtsamkeitstechniken eingesetzt.
Künftige Forschungsrichtungen können weitere Faktoren wie z.B. Art und Dauer des
Schmerzes und Behandlungsformen unter die Lupe nehmen.
Die Rolle der Umweltsensitivität in posttraumatischem
Wachstum und im Umgang mit Stress
Maria Jernslett ist Doktorandin an der Universität Edinburgh und interessiert sich für die
folgenden Fragen: Wie kann man an Traumata wachsen? Und welche Rolle spielt
dabei die Hochsensibilität?
Posttraumatisches Wachstum bedeutet, das Trauma zu verarbeiten, zu integrieren und
dadurch daran zu wachsen. Posttraumatische Belastungsstörungen und
posttraumatisches Wachstum schließen einander keineswegs aus. Eine Meta-Analyse
zeigte: Beides kann durchaus parallel stattfinden! Am häufigsten tritt beides zusammen
auf, wenn das Trauma moderat ist.
Faktoren, die ein Wachsen am Trauma fördern, sind insbesondere:
•
zwischenmenschliche Intimität und Verbindung,
•
spirituelles Wachstum,
•
und ein Sinn für die eigenen Stärken - den man entwickeln sollte, wenn er noch nicht
vorhanden ist.
Frau Jernsletts Studie umfasst die Befragung von 302 Erwachsenen, von denen die
meisten über ein überdurchschnittliches Trauma berichteten. Die meisten waren gut
ausgebildete Frauen, was nach Aussage der Autorin die Allgemeingültigkeit der Studie
einschränkt. Eine weitere Einschränkung sind die kognitiven Verzerrungen, die entstehen,
wenn man eine Situation im Nachhinein bewertet und bereits ein Narrativ daraus
entwickelt hat, also eine schlüssige Geschichte.
Die Ergebnisse:
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Das posttraumatische Wachstum zeigte sich am stärksten bei Menschen mit mittlerer
Sensibilität.
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Bei geringer Sensibilität fehlt es offenbar an emotionalen Bewältigungsmechanismen.
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Hochsensible Menschen tendieren zu emotionaler Überforderung, sodass das
posttraumatische Wachstum gehemmt sein kann, insbesondere bei starkem Trauma.
•
Ein Teilaspekt stach heraus: Eine ästhetische Sensibilität scheint mit höherem
posttraumatischem Wachstum einher zu gehen. Diese Verbindung funktioniert aber
nur, wenn das Umfeld unterstützend ist, oder auch wenn man eine Therapie in
Anspruch nimmt.
Das Umfeld erweist sich also als ein Schlüssel, denn es kann sich positiv und negativ
auswirken - und tut in der Regel beides.
Kann man daraus schließen, dass HSP mehr Resilienz besitzen? Dazu ist der Begriff der
Resilienz zu komplex und allgemein. Schränkt man aber den Blick auf das persönliche
Wachstum ein, zeigt sich auch hier, dass dies bei HSP überdurchschnittlich gut erfolgen
kann – aber nur wenn das Umfeld günstig ist.
Schlussrunde: Hochsensibilität und psychische
Gesundheit
Die Veranstaltung endete mit einem von Michael Pluess moderierten Podiumsgespräch
zusammen mit Francesca Lionetti, Corina Greven, Tom Falkenstein, Elizabeth Roxburgh
und Elena Lupo.
Haben Hochsensible häufiger psychische Gesundheitsprobleme?
Die Studienlage suggeriert einen moderaten Zusammenhang zwischen beidem. Allerdings
isolieren sie laut Prof. Greven zu selten Umweltsensitivität vom sog, Neurotizismus
(Neigung zu negativen Emotionen und Gefühlen), einem der fünf Bestandteile des „Big
Five“-Persönlichkeitsmodells. Und die allermeisten Studien beruhen auf Selbstauskunft
der Probanden. Objektive Messungen sind in diesem Bereich noch schwierig. Auch die
Anzahl der Probanden bleibt häufig gering. Zumindest bei Burnout und Depression
scheint es einen moderaten Zusammenhang mit Hochsensibilität zu geben.
Welche biologischen, neurologischen und medizinischen Faktoren könnten eine
Rolle dabei spielen, dass Hochsensibilität mit erhöhten psychischen Problemen in
Verbindung steht?
Dafür gibt es laut Dr. Elizabeth Roxburgh von der Universität von Canterbury noch kein
brauchbares Erklärungsmodell. Ein Bestandteil kann sein, dass sich viele HSP in ihrer
Kindheit und Jugend nicht akzeptiert fühlen und es schon dann, oder erst später, die
psychische Anfälligkeit erhöht. Gesellschaftliche Erwartungen und Normen sowie diverse
Diskriminierungsformen spielen auch eine Rolle.
Burnout kann von hoher Arbeitslast kommen, aber es gibt auch die Erschöpfung durch
Überforderung von Mitgefühl und Empathie! Man hat sich nicht ausreichend selbst
geschützt und gerät in ein Empathie-Burnout.
Sollten psychotherapeutische Behandlungen spezifisch an Hochsensible
angepasst werden?
Tom Falkenstein ist Psychotherapeut aus Deutschland mit Praxis in England. Er denkt
einerseits, dass Interventionen, die auf ein bestimmtes Leiden abgestimmt sind, bei allen
anwendbar sind und nicht speziell an HSP angepasst werden müssen. Andererseits hat er
immer wieder Anfragen von HSP, die verschiedene Therapien besucht haben, damit
unzufrieden waren und nun nach jemandem suchen, der mit dem Thema Hochsensibilität
vertraut ist.
Der vielleicht wichtigste Schlüsselfaktor ist immer die therapeutische Beziehung. Ein
gutes Verständnis der Hochsensibilität ist für diese Beziehungsqualität sicher hilfreich.
Man kann also sagen: Therapeuten sollten immer die Hochsensibilität ihrer Patienten im
Hinterkopf behalten, können aber darüber hinaus die gleichen Interventionen wie bei
anderen Patienten anwenden.
Sind Hochsensible leichter psychotherapeutisch zu behandeln?
In Herrn Falkensteins Erfahrung ist die therapeutische Beziehung mit HSP oft
tiefgehender. Es könnte sein, dass das auch den Behandlungserfolg fördert.
Akzeptanz der Hochsensibilität: Welche Unterschiede gibt es zwischen den
Ländern?
Dr. Elizabeth Roxburgh weiß von Befragungen von Studenten in verschiedenen Ländern.
Dabei zeigt sich: Hochsensible in China fühlen sich im Leben überdurchschnittlich wohl.
Im Vereinigten Königreich hingegen ist ihr Wohlbefinden unterdurchschnittlich.
Elena Lupo gab in Italien ihren Kassensitz ab und wurde Coach und Beraterin, um
institutionellen Einschränkungen in den Behandlungsformen zu entkommen. Sie gründete
ihren eigenen Verband und bildet heute Therapeuten aus. Sie bemerkt, wie immer noch
viele Menschen Hochsensibilität als eine New-Age-Marotte einordnen, oder als Koketterie,
oder als Verlegenheitserklärung für jugendlichen Suizid, oder auch als anderen Namen für
leichten Autismus.
Tom Falkenstein sieht in Deutschland einen Wandel in den letzten 10 Jahren. Mehr
Akzeptanz für das Thema Hochsensibilität ist vorhanden. Aber es werden immer noch
wenige Gelder für Forschungen bereit gestellt.
Elizabeth Roxburgh stellt fest, dass es im Vereinigten Königreich derzeit keine
Fortbildungsprogramme in Umweltsensitivität gibt. Das würde aber helfen.
Steht Hochsensibilität in Verbindung zu ADHS oder Autismus?
Diese Frage kommt sehr häufig auf. Prof. Corina Greven kommt ursprünglich aus der
ADHS-Forschung und hat auch enge Verbindungen zur Autismusforschung. Die
Studienlage sieht derzeit eher keine Verbindung. Manche Studien zeigen eine leichte
Korrelation, die aber nicht bestätigt ist. Die Studienqualität ist meistens schwach: Es
werden kleine Personenzahlen befragt, und statt klinisch gefestigter Diagnosen beruhen
die Studien üblicherweise auf einer Selbstauskunft. Außerdem: Selbst wenn es eine
statistische Korrelation gäbe, würde das noch nicht viel sagen, insbesondere zu tiefer
liegenden Ursachen.
Welche Rolle spielt Vorbeugung im Wohlbefinden von Hochsensiblen?
Eine Menge Punkte wurden schon weiter oben angesprochen, insbesondere von Dr.
Black.
Dr. Roxburgh erkennt insbesondere Faktoren wie eine Verbindung zur Natur, ein gutes
Gleichgewicht zwischen Geselligkeit und Alleinsein, und Persönlichkeitsentwicklung (etwa
ein Dankbarkeitstagebuch, denn das scheint tatsächlich zu wirken).
Wichtig sind auch Beziehungen mit echter Nähe. Hochsensible tendieren eher zu
emotionaler als zu sozialer Einsamkeit. Sind die Beziehungen zu oberflächlich, kann es
sein, dass sich HSP mit Menschen einsamer fühlen als ohne.
Atemtechniken, kreative Aufgaben, und Selbstakzeptanz helfen ebenfalls.
Außerdem können alle dafür wirken, dass das gesellschaftliche Bewusstsein für
Hochsensibilität steigt, und versuchen, sich mit anderen HSP in ihrer Region zu
verbinden.
Kann sich Hochsensibilität auch positiv auf die psychische Gesundheit auswirken?
Tom Falkenstein hilft seinen hochsensiblen Patienten immer, Situationen aus anderer
Perspektive umzudeuten („Reframing“), und nutzt Psychoedukation, damit sich
Hochsensible besser selbst verstehen und damit sie der Ressourcen bewusst werden, die
sich aus ihrer Hochsensibilität ergeben.
Elena Lupo sieht bei der psychischen Gesundheit einen sehr großen Unterschied
zwischen Hochsensiblen, die Hilfe aufsuchen, und denen, die das nicht tun. Dabei sind
Unterstützungen und Anleitungen im Umgang mit der Hochsensibilität und der Steigerung
der Selbstwirksamkeit sehr hilfreich. Außerdem ist es für HSP wichtig, sich mit höheren
Aufgaben oder Zielen zu verbinden – mit einem größeren Ganzen, ggf. auf einer
spirituellen Ebene.
Ebenfalls wichtig ist es für Hochsensible, aus dem Kopf heraus zu kommen. In der Regel
denken sie zu viel. Denken und Fühlen müssen besser miteinander integriert werden.
Körperbezogene Interventionen sind dabei hilfreich. Somatic Experiencing ist ein Beispiel
dafür.
Gibt es eine Verbindung zwischen Hochsensibilität und Introversion / Extraversion?
Intro- und Extraversion scheinen bei HSP nicht anders als in der allgemeinen Bevölkerung
verteilt zu sein. Betrachtet man die fünf Teile des „Big Five“-Persönlichkeitsmodells (zu
denen auch Extraversion / Introversion gehört), korreliert Hochsensibilität eher mit den
Bestandteilen Neurotizismus und Offenheit für Neues.
Informationen zu neuen wissenschaftlichen Studien und über die kommenden
Forschungsveranstaltungen findet sich im Netzwerk Sensitivity Research.
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