Termine: Tel. +49 160 9623 2547 - E-Mail:
Kontakt per elektronischer Nachricht

Am 22. Mai 2024 traf sich ein Großteil der „Crème de la Crème“ der

Hochsensibilitätsforschung auf ein Gipfeltreffen - und zwar online, wie schon die erste

Konferenz vom März 2023. Angekündigt wurde es wieder über das Netzwerk sensitivity-

research.com. Es nahmen unter anderem folgende Personen teil:

Elaine Aron und ihr Mann Arthur Aron, Moderator war Michael Pluess (Universität von Surrey, Vereinigtes Königreich), Veronique de Gucht (Unversität von Leiden, Niederlande), Francesca Lionetti (G. d’Annunzio-Unversität Chieti-Pescara, Italien), Corina Greven (Radboud Uniklinikum, Nijmegen, Niederlande), Monika Baryła-Matejczuk (WSEI Universität, Lublin, Polen) Hier ist zur Vereinfachung viel von „Hochsensibilität“ die Rede. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch ist jedoch eher „Sensorische Verarbeitungssensitivität“ („Sensory Processing Sensitivity“) der Referenzbegriff. Es wird auch allgemeiner von „Umweltsensitivität“ gesprochen. (Das Folgende ist kein offizielles Protokoll und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Fehlerfreiheit.)

Ein bisschen Geschichte der Hochsensibilitätsforschung

Elaine Aron plauderte ein bisschen aus dem Nähkästchen und erzählte von ihren Anfängen. Ihr erster Artikel über Hochsensibilität entstand 1993. Später gab sie einen Vortrag in einer Bibliothek, aus dem wiederum ihr erstes Buch entstand. Der heutige Klassiker „The Highly Sensitive Person“ (auf deutsch: „Sind Sie hochsensibel?“) wurde zunächst von allen Verlagen abgelehnt. Nur ein kleines Verlagshaus, mittlerweile insolvent, akzeptierte das Manuskript und veröffentlichte es 1996. Erst später griff eine Filiale von Random House das Buch auf. 1997 folgte die erste Studie, Sensory-Processing Sensitivity and its relation to introversion and emotionality. In jener Zeit las Elaine Aron vieles über Kinder- und Tierforschung. Der Kürbiskernbarsch etwa („pumpkin-seed sunfish“) ist ein zunächst sehr vorsichtiger Fisch, der jedoch neugierig sein Umfeld erforscht, wenn er sich sicher fühlt. Ähnliches sieht man auch bei hochsensiblen Kindern. Ab 2008 erschienen gemeinsame Papiere mit ihren neuen „Mitverschworenen“, W. Thomas Boyce, Michael Pluess und Jay Belsky. Der Kinderarzt Tom Boyce hatte in einer früheren Studie ermittelt, dass hochsensible Kinder weniger häufig als andere erkältet sind - es sei denn, sie haben Stress: Dann erkälten sie sich überdurchschnittlich oft. Die erste neurowissenschaftliche Studie lautete The trait of Sensory Processing Sensitivity and neural responses to changes in visual scenes. (Elaine Aron stellt nebenbei fest, dass man in Europa offener über angeborene Fähigkeiten und Einschränkungen reden kann, wohingegen in den USA gern so getan wird, als hätte jeder Mensch das Zeug zur US- Präsidentschaft wenn er nur wollte.) Die Arbeitshypothese der Studie lautete, dass hochsensible Menschen Situationen tiefgehender analysieren und daher unabhängiger vom Umfeld bewerten. Die Studie nutzte kulturelle Unterschiede in der Betrachtungsweise der Menschen auf Situationen: So betrachtet und bewertet man die Dinge in Ostasien eher abhängig vom Kontext; im Westen wird eher die Sache an sich angeschaut - vom Kontext losgelöst. Es bestätigte sich, dass Hochsensible zwar von ihrem kulturellen Umfeld beeinflusst sind, aber von ihm auch unabhängiger als andere in der Meinungsbildung sind. Ab 2014 arbeiten Bianca Acevedo und Lucy Brown mit Elaine und Arthur „Art“ Aron. Eine gemeinsame Studie von 2014 zeigte, dass Hochsensible intensiver auf Gesichtsausdrücke reagieren. Es kamen auch Kooperationen mit Corina Greven und Francesca Lionetti hinzu. Corina Greven aus Deutschland hat in den Niederlanden den weltweit ersten Lehrstuhl in Umweltsensitivität („environmental sensitivity“) inne. Weitere Studien ergaben folgende Ergebnisse: Zwei Studien über neuronale Konnektivität in menschlichen Gehirnen zeigen, welch wichtiges Merkmal die Verarbeitungstiefe ist („Depth of processing“). Sie scheint für Elaine Aron sogar den zentralen Kern der Hochsensibilität zu bilden. Ein für Hochsensible ganz typisches, aber oft nur subtil erkennbares Verhalten besteht in der Sequenz: Innehalten, beobachten, verarbeiten. Sensorische Verarbeitungssensitivität korreliert nur wenig mit dem Persönlichkeitsmerkmal des „High sensation seeking“ (HSS). Der Anteil der High Sensation Seeker unter den Hochsensiblen ist also nicht anders als in der Gesamtbevölkerung (2023, mit Bianca Acevedo) Eine höhere Sensorische Verarbeitungssensitivität scheint in Verbindung mit einer erhöhten Sensitivität auf Medikamente zu stehen. (2024)

Verwirrung bezüglich Hochsensibilität

Elaine Aron identifiziert sechs Gründe, die Verwirrung im Verständnis der Hochsensibilität stiften: 1. Hochsensible Individuen aller Spezies haben Verhalten entwickelt, die darin bestehen, innezuhalten und die Situation erst einmal aufzunehmen, ohne gleich zu handeln. Diese Strategie ist jedoch nicht leicht zu beobachten und zu identifizieren. Sie kann subtil sein, und von außen entweder unsichtbar bleiben, oder mit Zurückhaltung oder Gleichgültigkeit verwechselt werden. Oder sie kann andere Gründe als die Hochsensibilität haben. Überhaupt können Verhaltensweisen, die denen vieler Hochsensiblen ähneln, auch bei Nichthochsensiblen mit einem Trauma oder einer Persönlichkeitsstörung vorhanden sein. Das ist auch eines der Hauptargumente jener Fachleute, die Hochsensibilität als selbständiges Persönlichkeitsmerkmal ablehnen und es als alten Wein in neuen Schläuchen sehen - z.B. als einen anderen Begriff für den Neurotizismus (emotionale Labilität und Hang zu negativen Emotionen) aus dem Big- Five-Persönlichkeitsmodell („OCEAN“-Modell). 2. Die Fragebögen und Skalen (u.a. HSPS - Highly Sensitive Person Scale) sind mittlerweile veraltet. Eine neue Skala ist durch die Arons und Kollegen in der Entwicklung. 3. Es gibt große Unterschiede zwischen Hochsensiblen, die durch die „differential susceptibility“ alias „vantage sensitivity“ bedingt sind: Hochsensible reagieren überdurchschnittlich negativ auf negative und überdurchschnittlich positiv auf positive Begebenheiten oder Umfelder. Im Ergebnis bilden die beobachteten Reaktionen ein sehr breites Spektrum, obwohl diese Individuen alle die Hochsensibilität gemein haben. 4. Die sichtbaren Hochsensiblen sind nicht die typischen Hochsensiblen. Wer viel über die eigene Hochsensibilität redet, ist damit untypisch, und vielleicht auch nicht wirklich hochsensibel. Die meisten Hochsensiblen sind schwer als solche zu identifizieren und reden nicht darüber. 5. Hochsensible sind nicht selten extrovertiert und/oder „High Sensation Seekers“, nämlich (von einander unabhängig) zu jeweils etwa 30% der hochsensiblen Bevölkerung. Die Hochsensibilität kann dadurch ein bisschen verdeckt sein. So vermutet man hinter einem High Sensation Seeker, der ja immer auf der Suche nach neuen Reizen und Veränderungen ist, nicht auf Anhieb eine Hochsensibilität, also einen Hang zur Reizüberflutung, da beides zunächst widersprüchlich erscheint (und auch nicht einfach zu erleben ist). 6. Die Hälfte der Hochsensiblen sind hochsensible Männer, doch sie bleiben als solche weitgehend unsichtbar. Als Fazit der Jahrzehnte Forschung und Praxis sieht Elaine Aron, die im November 2024 ihren 80. Geburtstag feiert, insbesondere zwei grundlegende Erkenntnisse: Die Verarbeitungstiefe ist das vielleicht grundlegendste Merkmal der Hochsensibilität. Doch ist sie auch schwer zu messen, da sie den Hochsensiblen so natürlich von der Hand geht und solch fester Bestandteil des eigenen Erlebens ist, dass sie nicht bewusst als besonderes Persönlichkeitsmerkmal wahrgenommen wird. Sie findet einfach statt. Die „Differential Susceptibility“, also die überdurchschnittlich starke Reaktion auf jeweils positive oder negative Umfelder, führt zu einem sehr breiten Verhaltensspektrum bei Hochsensiblen. Unter dieser breiten Schwankung der Äußerlichkeiten ist die Hochsensibilität als Gemeinsamkeit nicht leicht zu erkennen.

Neue Studien

Das Treffen war auch eine Gelegenheit, neue Studien der letzten Monate zu präsentieren: Jenni Elise Kähkönen (Universität von Surrey, Großbritannien) bestätigte nach einer Studie mit hochsensiblen Kindern unterschiedlichen Alters (Schweiz + Großbritannien), dass sie tiefer denken als andere und es ihnen leichter fällt, Fehler auf Bildern zu erkennen. Die Studie zeigte nebenbei auch, dass das Lehrpersonal in der Regel den Grad der Empfindsamkeit von Kindern recht gut identifizieren kann. Veronique de Gucht aus Leiden suchte nach einer Korrelation zwischen Hochsensibilität und Hochbegabung: Es fanden sich jedoch keine signifikanten Korrelationen. Es bestätigte sich auch, dass Hochbegabte bei Unannehmlichkeiten weniger negativ reagieren, als Hochsensible. (Anderweitige Forschungen gehen ebenfalls in die Richtung, dass Hochbegabte eine überdurchschnittliche psychische Stabilität genießen, da sie wahrscheinlich Situationen schneller erfassen und geeignete Anpassungsstrategien entwickeln können.) Eine weiterer Teil der Studie, an der Frau de Gucht beteiligt war, zeigte, dass eine hohe Resilienz die Auswirkungen der „Differential Susceptibility“ bzw. „Vantage Sensitivity (siehe oben) „puffern“. Resiliente Hochsensible haben keine so hohen Ausschläge in der Reaktion auf ein positives oder negatives Umfeld. Das bedeutet: Interventionen, die die Resilienz erhöhen, machen den Hochsensiblen das Leben leichter. Außerdem hat Frau de Gucht an der Entwicklung des „Sensory Processing Monitors“ der Universität Leiden teilgenommen. Ein Fragebogen zur Hochsensibilität steht auf niederländisch und englisch zur Verfügung. Elham Assary vom King‘s Kollege (London) suchte nach Korrelationen zwischen Hochsensibilität und negativ erlebten Merkmalen einerseits (Depression, Ängstlichkeit, Autismusspektrum), förderlichen Merkmalen andererseits (Ehrgeiz, Neugier, Mumm, Dankbarkeit, Fröhlichkeit, Hoffnung, Lebenszufriedenheit, Optimismus). Die Erkenntnisse: Hochsensibilität scheint mit mehr negativem und weniger positivem Erleben zu korrelieren. Die Verbindung zwischen Hochsensibilität und stärkerem negativem Erleben scheint jedoch mit genetischen Faktoren zu korrelieren, etwa mit dem Vorhandensein von Formen des Autismus. Frau Assary sagte jedoch ausdrücklich, dass hier eine Korrelation, keine Kausalität festgestellt wurde, denn das war nicht Gegenstand der Studie. Sofie Weyn von der Universität in Löwen (Leuven, Belgien) ließ vor allem Frauen fünfmal pro Tag aufzeichnen, wie sie sich fühlten, und insbesondere, ob sie einen Zustand der Überreizung erlebten. Dabei ergab sich im Durchschnitt folgender Tagesablauf: Die Reizmenge und ggf. Überreizung nimmt über den Tag hinweg bis in den frühen Abend zu, ab dann wieder ab. Bei Hochsensiblen nimmt die Überreizung zum späten Abend stärker ab, als bei Nichthochsensiblen. Robert Marhenke von der Universität Innsbruck (Österreich) wartete mit einer Überraschung auf. Er hatte nach Verbindungen zwischen Hochsensibilität und Ablenkbarkeit („attentional capture“) durch äußere Reize gesucht. Probanden beobachteten Bilder und wurden dabei durch zusätzliche Reize gestört. Es wird üblicherweise davon ausgegangen, dass Hochsensible leichter abzulenken sind. Das überraschende Ergebnis war jedoch, dass die Hochsensiblen sich (anders als beispielsweise Menschen mit ADHS) nicht stärker ablenken ließen als die anderen. Hochsensible Probanden waren sogar besser als die anderen darin, störende Reize zu ignorieren! Sophia Bibb von der Universität von Ohio (USA) studierte die oft angenommene Korrelation zwischen Hochsensibilität und erhöhter Ängstlichkeit bei Teenagern zwischen 16 und 19 Jahren. Das Ergebnis: Sie fand keine Korrelation - außer bei den Jugendlichen, die in konfliktreichen Familien leben.

Diskussion

Das Treffen wurde durch eine von Michael Pluess moderierte Dikussionsrunde abgerundet: Elaine Aron, Veronique de Gucht, Francesca Lionetti, Monika Baryla-Matejczug und Corina Greven teilten ihre Erfahrungen. Ein paar Erkenntnisse: Die Messinstrumente und Skalen, die sich auch in Fragebögen wiederfinden, können einfach erscheinen, sie sind jedoch komplex im Aufbau und von solider Statistik untermauert. Michael Pluess hat mittlerweile mit seinem Team einen Fragebogen entwickelt, der zwar nur 12 Fragen umfasst („HSP-12“), aber in seinen Ergebnissen statistisch deutlich mit anderen, umfangreicheren Fragebögen korreliert. Die Notwendigkeit von fachlichen Fortbildungen zur Hochsensibilitätsforschung wird größer. Denn das Thema hat nun die Popkultur erreicht. Zahlreiche „intuitive Experten“ reden und schreiben über Hochsensibilität im allgemeinen und berichten eigentlich vor allem von ihrem eigenen, persönlichen Erleben. Es ist heute grundsätzlich nicht möglich, zu sagen, ob ein Mensch hochsensibel ist, oder nicht. Es gibt keine objektive Messbarkeit. Veronique de Gucht versucht immer wieder, Einzelfragen aus ihrem Themenbereich bei anderen Studien unterzubringen, die Zugang zur funktionalen Magnetresonanztomographie (fMRT) bekommen. Michael Pluess erachtet es als unrealistisch, dass jemals eine eindeutige Signatur der Hochsensibilität im Gehirn gefunden wird. Elaine Aron betrachtet die Fragebögen als begrenztes Werkzeug. Das betrifft auch ihre eigene HSPS (highly sensitive person scale). Sie sind für die Forschung geeignet, um eine Vergleichbarkeit zwischen Probanden herzustellen. Für eine Selbsteinschätzung außerhalb des Forschungsrahmens jedoch sind sie nicht ausreichend aussagekräftig und allzu subjektiv im Ergebnis. Besonders bei Kindern ergäben sich häufig „falsche Positive“ und „falsche Negative“. Dr. Aron fragt auch immer erst nach der Lebensgeschichte der Menschen, bevor sie sich eine Meinung über die Wahrscheinlichkeit einer Hochsensibilität der Person bildet. Die Frage nach der ästhetischen Sensitivität ist ein Beispiel, wie eine Frage die Ergebnisse auf der Suche nach Hochsensibilität verfälschen kann. Ein deutlich aussagekräftigeres Merkmal, nach dem man bei Menschen mit Hochsensibilitätsverdacht suchen sollte, ist der Hang zur Überreizung (Überforderung durch Reizfluten). Viele Fragen bergen auch immer das Risiko, dass „sozial erwünschte“ Antworten gegeben werden. Daher erscheint es besser, nach indirekten Merkmalen zu suchen, also nach den Auswirkungen, z.B. nach häufig erlebter Überreizung oder der subtilen Strategie des Innehaltens und Beobachtens. Es besteht keine feste Schwelle zwischen den Hochsensiblen und den anderen. Es handelt sich um ein Kontinuum. Lesen Sie auch: Startseite Weitere Blog-Artikel Coaching für Hochsensible Coaching für Hochbegabte Warum ein Coaching? Methoden des Systemischen Coachings Dem inneren Kind begegnen

Alexander Hohmann - Blog

Coaching und mehr

Alexander Hohmann

Zertifizierter Life Coach

& Business Coach

Freiburg i. Br. & online

Deutsch - français - englisch

Am 22. Mai 2024 traf sich ein Großteil der

„Crème de la Crème“ der

Hochsensibilitätsforschung auf ein Gipfeltreffen

- und zwar online, wie schon die erste

Konferenz vom März 2023. Angekündigt wurde

es wieder über das Netzwerk sensitivity-

research.com. Es nahmen unter anderem

folgende Personen teil:

Elaine Aron und ihr Mann Arthur Aron, Moderator war Michael Pluess (Universität von Surrey, Vereinigtes Königreich), Veronique de Gucht (Unversität von Leiden, Niederlande), Francesca Lionetti (G. d’Annunzio- Unversität Chieti-Pescara, Italien), Corina Greven (Radboud Uniklinikum, Nijmegen, Niederlande), Monika Baryła-Matejczuk (WSEI Universität, Lublin, Polen) Hier ist zur Vereinfachung viel von „Hochsensibilität“ die Rede. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch ist jedoch eher „Sensorische Verarbeitungssensitivität“ („Sensory Processing Sensitivity“) der Referenzbegriff. Es wird auch allgemeiner von „Umweltsensitivität“ gesprochen. (Das Folgende ist kein offizielles Protokoll und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Fehlerfreiheit.)

Ein bisschen Geschichte der

Hochsensibilitätsforschung

Elaine Aron plauderte ein bisschen aus dem Nähkästchen und erzählte von ihren Anfängen. Ihr erster Artikel über Hochsensibilität entstand 1993. Später gab sie einen Vortrag in einer Bibliothek, aus dem wiederum ihr erstes Buch entstand. Der heutige Klassiker „The Highly Sensitive Person“ (auf deutsch: „Sind Sie hochsensibel?“) wurde zunächst von allen Verlagen abgelehnt. Nur ein kleines Verlagshaus, mittlerweile insolvent, akzeptierte das Manuskript und veröffentlichte es 1996. Erst später griff eine Filiale von Random House das Buch auf. 1997 folgte die erste Studie, Sensory- Processing Sensitivity and its relation to introversion and emotionality. In jener Zeit las Elaine Aron vieles über Kinder- und Tierforschung. Der Kürbiskernbarsch etwa („pumpkin-seed sunfish“) ist ein zunächst sehr vorsichtiger Fisch, der jedoch neugierig sein Umfeld erforscht, wenn er sich sicher fühlt. Ähnliches sieht man auch bei hochsensiblen Kindern. Ab 2008 erschienen gemeinsame Papiere mit ihren neuen „Mitverschworenen“, W. Thomas Boyce, Michael Pluess und Jay Belsky. Der Kinderarzt Tom Boyce hatte in einer früheren Studie ermittelt, dass hochsensible Kinder weniger häufig als andere erkältet sind - es sei denn, sie haben Stress: Dann erkälten sie sich überdurchschnittlich oft. Die erste neurowissenschaftliche Studie lautete The trait of Sensory Processing Sensitivity and neural responses to changes in visual scenes. (Elaine Aron stellt nebenbei fest, dass man in Europa offener über angeborene Fähigkeiten und Einschränkungen reden kann, wohingegen in den USA gern so getan wird, als hätte jeder Mensch das Zeug zur US-Präsidentschaft wenn er nur wollte.) Die Arbeitshypothese der Studie lautete, dass hochsensible Menschen Situationen tiefgehender analysieren und daher unabhängiger vom Umfeld bewerten. Die Studie nutzte kulturelle Unterschiede in der Betrachtungsweise der Menschen auf Situationen: So betrachtet und bewertet man die Dinge in Ostasien eher abhängig vom Kontext; im Westen wird eher die Sache an sich angeschaut - vom Kontext losgelöst. Es bestätigte sich, dass Hochsensible zwar von ihrem kulturellen Umfeld beeinflusst sind, aber von ihm auch unabhängiger als andere in der Meinungsbildung sind. Ab 2014 arbeiten Bianca Acevedo und Lucy Brown mit Elaine und Arthur „Art“ Aron. Eine gemeinsame Studie von 2014 zeigte, dass Hochsensible intensiver auf Gesichtsausdrücke reagieren. Es kamen auch Kooperationen mit Corina Greven und Francesca Lionetti hinzu. Corina Greven aus Deutschland hat in den Niederlanden den weltweit ersten Lehrstuhl in Umweltsensitivität („environmental sensitivity“) inne. Weitere Studien ergaben folgende Ergebnisse: Zwei Studien über neuronale Konnektivität in menschlichen Gehirnen zeigen, welch wichtiges Merkmal die Verarbeitungstiefe ist („Depth of processing“). Sie scheint für Elaine Aron sogar den zentralen Kern der Hochsensibilität zu bilden. Ein für Hochsensible ganz typisches, aber oft nur subtil erkennbares Verhalten besteht in der Sequenz: Innehalten, beobachten, verarbeiten. Sensorische Verarbeitungssensitivität korreliert nur wenig mit dem Persönlichkeitsmerkmal des „High sensation seeking“ (HSS). Der Anteil der High Sensation Seeker unter den Hochsensiblen ist also nicht anders als in der Gesamtbevölkerung (2023, mit Bianca Acevedo) Eine höhere Sensorische Verarbeitungssensitivität scheint in Verbindung mit einer erhöhten Sensitivität auf Medikamente zu stehen. (2024)

Verwirrung bezüglich

Hochsensibilität

Elaine Aron identifiziert sechs Gründe, die Verwirrung im Verständnis der Hochsensibilität stiften: 1. Hochsensible Individuen aller Spezies haben Verhalten entwickelt, die darin bestehen, innezuhalten und die Situation erst einmal aufzunehmen, ohne gleich zu handeln. Diese Strategie ist jedoch nicht leicht zu beobachten und zu identifizieren. Sie kann subtil sein, und von außen entweder unsichtbar bleiben, oder mit Zurückhaltung oder Gleichgültigkeit verwechselt werden. Oder sie kann andere Gründe als die Hochsensibilität haben. Überhaupt können Verhaltensweisen, die denen vieler Hochsensiblen ähneln, auch bei Nichthochsensiblen mit einem Trauma oder einer Persönlichkeitsstörung vorhanden sein. Das ist auch eines der Hauptargumente jener Fachleute, die Hochsensibilität als selbständiges Persönlichkeitsmerkmal ablehnen und es als alten Wein in neuen Schläuchen sehen - z.B. als einen anderen Begriff für den Neurotizismus (emotionale Labilität und Hang zu negativen Emotionen) aus dem Big-Five-Persönlichkeitsmodell („OCEAN“- Modell). 2. Die Fragebögen und Skalen (u.a. HSPS - Highly Sensitive Person Scale) sind mittlerweile veraltet. Eine neue Skala ist durch die Arons und Kollegen in der Entwicklung. 3. Es gibt große Unterschiede zwischen Hochsensiblen, die durch die „differential susceptibility“ alias „vantage sensitivity bedingt sind: Hochsensible reagieren überdurchschnittlich negativ auf negative und überdurchschnittlich positiv auf positive Begebenheiten oder Umfelder. Im Ergebnis bilden die beobachteten Reaktionen ein sehr breites Spektrum, obwohl diese Individuen alle die Hochsensibilität gemein haben. 4. Die sichtbaren Hochsensiblen sind nicht die typischen Hochsensiblen. Wer viel über die eigene Hochsensibilität redet, ist damit untypisch, und vielleicht auch nicht wirklich hochsensibel. Die meisten Hochsensiblen sind schwer als solche zu identifizieren und reden nicht darüber. 5. Hochsensible sind nicht selten extrovertiert und/oder „High Sensation Seekers“, nämlich (von einander unabhängig) zu jeweils etwa 30% der hochsensiblen Bevölkerung. Die Hochsensibilität kann dadurch ein bisschen verdeckt sein. So vermutet man hinter einem High Sensation Seeker, der ja immer auf der Suche nach neuen Reizen und Veränderungen ist, nicht auf Anhieb eine Hochsensibilität, also einen Hang zur Reizüberflutung, da beides zunächst widersprüchlich erscheint (und auch nicht einfach zu erleben ist). 6. Die Hälfte der Hochsensiblen sind hochsensible Männer, doch sie bleiben als solche weitgehend unsichtbar. Als Fazit der Jahrzehnte Forschung und Praxis sieht Elaine Aron, die im November 2024 ihren 80. Geburtstag feiert, insbesondere zwei grundlegende Erkenntnisse: Die Verarbeitungstiefe ist das vielleicht grundlegendste Merkmal der Hochsensibilität. Doch ist sie auch schwer zu messen, da sie den Hochsensiblen so natürlich von der Hand geht und solch fester Bestandteil des eigenen Erlebens ist, dass sie nicht bewusst als besonderes Persönlichkeitsmerkmal wahrgenommen wird. Sie findet einfach statt. Die „Differential Susceptibility“, also die überdurchschnittlich starke Reaktion auf jeweils positive oder negative Umfelder, führt zu einem sehr breiten Verhaltensspektrum bei Hochsensiblen. Unter dieser breiten Schwankung der Äußerlichkeiten ist die Hochsensibilität als Gemeinsamkeit nicht leicht zu erkennen.

Neue Studien

Das Treffen war auch eine Gelegenheit, neue Studien der letzten Monate zu präsentieren: Jenni Elise Kähkönen (Universität von Surrey, Großbritannien) bestätigte nach einer Studie mit hochsensiblen Kindern unterschiedlichen Alters (Schweiz + Großbritannien), dass sie tiefer denken als andere und es ihnen leichter fällt, Fehler auf Bildern zu erkennen. Die Studie zeigte nebenbei auch, dass das Lehrpersonal in der Regel den Grad der Empfindsamkeit von Kindern recht gut identifizieren kann. Veronique de Gucht aus Leiden suchte nach einer Korrelation zwischen Hochsensibilität und Hochbegabung: Es fanden sich jedoch keine signifikanten Korrelationen. Es bestätigte sich auch, dass Hochbegabte bei Unannehmlichkeiten weniger negativ reagieren, als Hochsensible. (Anderweitige Forschungen gehen ebenfalls in die Richtung, dass Hochbegabte eine überdurchschnittliche psychische Stabilität genießen, da sie wahrscheinlich Situationen schneller erfassen und geeignete Anpassungsstrategien entwickeln können.) Eine weiterer Teil der Studie, an der Frau de Gucht beteiligt war, zeigte, dass eine hohe Resilienz die Auswirkungen der Differential Susceptibility“ bzw. „Vantage Sensitivity“ (siehe oben) „puffern“. Resiliente Hochsensible haben keine so hohen Ausschläge in der Reaktion auf ein positives oder negatives Umfeld. Das bedeutet: Interventionen, die die Resilienz erhöhen, machen den Hochsensiblen das Leben leichter. Außerdem hat Frau de Gucht an der Entwicklung des „Sensory Processing Monitors“ der Universität Leiden teilgenommen. Ein Fragebogen zur Hochsensibilität steht auf niederländisch und englisch zur Verfügung. Elham Assary vom King‘s Kollege (London) suchte nach Korrelationen zwischen Hochsensibilität und negativ erlebten Merkmalen einerseits (Depression, Ängstlichkeit, Autismusspektrum), förderlichen Merkmalen andererseits (Ehrgeiz, Neugier, Mumm, Dankbarkeit, Fröhlichkeit, Hoffnung, Lebenszufriedenheit, Optimismus). Die Erkenntnisse: Hochsensibilität scheint mit mehr negativem und weniger positivem Erleben zu korrelieren. Die Verbindung zwischen Hochsensibilität und stärkerem negativem Erleben scheint jedoch mit genetischen Faktoren zu korrelieren, etwa mit dem Vorhandensein von Formen des Autismus. Frau Assary sagte jedoch ausdrücklich, dass hier eine Korrelation, keine Kausalität festgestellt wurde, denn das war nicht Gegenstand der Studie. Sofie Weyn von der Universität in Löwen (Leuven, Belgien) ließ vor allem Frauen fünfmal pro Tag aufzeichnen, wie sie sich fühlten, und insbesondere, ob sie einen Zustand der Überreizung erlebten. Dabei ergab sich im Durchschnitt folgender Tagesablauf: Die Reizmenge und ggf. Überreizung nimmt über den Tag hinweg bis in den frühen Abend zu, ab dann wieder ab. Bei Hochsensiblen nimmt die Überreizung zum späten Abend stärker ab, als bei Nichthochsensiblen. Robert Marhenke von der Universität Innsbruck (Österreich) wartete mit einer Überraschung auf. Er hatte nach Verbindungen zwischen Hochsensibilität und Ablenkbarkeit („attentional capture“) durch äußere Reize gesucht. Probanden beobachteten Bilder und wurden dabei durch zusätzliche Reize gestört. Es wird üblicherweise davon ausgegangen, dass Hochsensible leichter abzulenken sind. Das überraschende Ergebnis war jedoch, dass die Hochsensiblen sich (anders als beispielsweise Menschen mit ADHS) nicht stärker ablenken ließen als die anderen. Hochsensible Probanden waren sogar besser als die anderen darin, störende Reize zu ignorieren! Sophia Bibb von der Universität von Ohio (USA) studierte die oft angenommene Korrelation zwischen Hochsensibilität und erhöhter Ängstlichkeit bei Teenagern zwischen 16 und 19 Jahren. Das Ergebnis: Sie fand keine Korrelation - außer bei den Jugendlichen, die in konfliktreichen Familien leben.

Diskussion

Das Treffen wurde durch eine von Michael Pluess moderierte Dikussionsrunde abgerundet: Elaine Aron, Veronique de Gucht, Francesca Lionetti, Monika Baryla-Matejczug und Corina Greven teilten ihre Erfahrungen. Ein paar Erkenntnisse: Die Messinstrumente und Skalen, die sich auch in Fragebögen wiederfinden, können einfach erscheinen, sie sind jedoch komplex im Aufbau und von solider Statistik untermauert. Michael Pluess hat mittlerweile mit seinem Team einen Fragebogen entwickelt, der zwar nur 12 Fragen umfasst („HSP-12“), aber in seinen Ergebnissen statistisch deutlich mit anderen, umfangreicheren Fragebögen korreliert. Die Notwendigkeit von fachlichen Fortbildungen zur Hochsensibilitätsforschung wird größer. Denn das Thema hat nun die Popkultur erreicht. Zahlreiche „intuitive Experten“ reden und schreiben über Hochsensibilität im allgemeinen und berichten eigentlich vor allem von ihrem eigenen, persönlichen Erleben. Es ist heute grundsätzlich nicht möglich, zu sagen, ob ein Mensch hochsensibel ist, oder nicht. Es gibt keine objektive Messbarkeit. Veronique de Gucht versucht immer wieder, Einzelfragen aus ihrem Themenbereich bei anderen Studien unterzubringen, die Zugang zur funktionalen Magnetresonanztomographie (fMRT) bekommen. Michael Pluess erachtet es als unrealistisch, dass jemals eine eindeutige Signatur der Hochsensibilität im Gehirn gefunden wird. Elaine Aron betrachtet die Fragebögen als begrenztes Werkzeug. Das betrifft auch ihre eigene HSPS (highly sensitive person scale). Sie sind für die Forschung geeignet, um eine Vergleichbarkeit zwischen Probanden herzustellen. Für eine Selbsteinschätzung außerhalb des Forschungsrahmens jedoch sind sie nicht ausreichend aussagekräftig und allzu subjektiv im Ergebnis. Besonders bei Kindern ergäben sich häufig „falsche Positive“ und „falsche Negative“. Dr. Aron fragt auch immer erst nach der Lebensgeschichte der Menschen, bevor sie sich eine Meinung über die Wahrscheinlichkeit einer Hochsensibilität der Person bildet. Die Frage nach der ästhetischen Sensitivität ist ein Beispiel, wie eine Frage die Ergebnisse auf der Suche nach Hochsensibilität verfälschen kann. Ein deutlich aussagekräftigeres Merkmal, nach dem man bei Menschen mit Hochsensibilitätsverdacht suchen sollte, ist der Hang zur Überreizung (Überforderung durch Reizfluten). Viele Fragen bergen auch immer das Risiko, dass „sozial erwünschte“ Antworten gegeben werden. Daher erscheint es besser, nach indirekten Merkmalen zu suchen, also nach den Auswirkungen, z.B. nach häufig erlebter Überreizung oder der subtilen Strategie des Innehaltens und Beobachtens. Es besteht keine feste Schwelle zwischen den Hochsensiblen und den anderen. Es handelt sich um ein Kontinuum. Lesen Sie auch: Startseite Weitere Blog-Artikel Coaching für Hochsensible Coaching für Hochbegabte Warum ein Coaching? Methoden des Systemischen Coachings Dem inneren Kind begegnen
Hochsensibilitätsforschungstreffen 2024